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Interview mit Aleksandra Opacic, Co-Leiterin CAS Alphabetisierung im DaZ-Unterricht

Nebst dem Bachelor Sprachliche Integration bietet die ZHAW mit dem CAS (Certificate of Advanced Studies) Alphabetisierung im DaZ-Unterricht auch eine neue Weiterbildung im Kontext Mehrsprachigkeit und Deutsch als Zweitsprache an.

Aleksandra Opacic, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungs- und Arbeitsbereich Deutsch als Fremd- und Zweitsprache (DaF/DaZ) und Co-Leiterin des CAS Alphabetisierung im DaZ-Unterricht an der ZHAW, beantwortet im Interview Fragen zu Mehrsprachigkeit, Alphabetisierung und Fremdspracherwerb sowie zum neuen Weiterbildungsangebot.

 

An wen richtet sich der neue CAS zu Alphabetisierung im DaZ-Unterricht? Welche Vorkenntnisse, Ausbildung und berufliche Erfahrungen sollten Interessierte mitbringen?

Der CAS richtet sich an DaF/DaZ-Kursleitende, die in Alphabetisierungskursen unterrichten möchten oder bereits in Alphabetisierungskursen und/oder in Kursen mit schulungewohnten Teilnehmenden unterrichten und ihr Fachwissen sowie ihre didaktisch-methodischen Kompetenzen erweitern möchten. Die Interessenten sollten ein abgeschlossenes Hochschulstudium sprachlicher oder pädagogischer/andragogischer Richtung und Unterrichtserfahrung als DaF/DaZ-, Fremdsprachen- oder Deutschlehrperson in der Erwachsenenbildung mitbringen.


Zu welcher Art beruflicher Tätigkeit qualifizieren sich Absolventen und Absolventinnen des CAS Alphabetisierung im DaZ-Unterricht? Welche zusätzlichen Möglichkeiten bieten sich nach erfolgreichem Abschluss des CAS in beruflicher Hinsicht?

Bei bestandener Weiterbildung schliessen die Teilnehmenden mit dem Certificate of Advanced Studies (CAS) Alphabetisierung im DAZ­-Unterricht ab. Das Zertifikat bescheinigt die Befähigung zum Unterrichten in Deutsch als Zweitsprache für Erwachsene im Bereich der Alphabetisierung und Förderung von Grundkompetenzen.

 

Welche Inhalte werden in den Kursen vermittelt? Welche Kenntnisse und Fähigkeiten werden erworben? 

Der CAS besteht aus vier Modulen mit den Oberthemen «Alphabetisierung im gesellschaftlichen Kontext», «Unterstützung des Schriftspracherwerbs», «Methoden, Materialien und Medien im Alphabetisierungsbereich» und «Grundkompetenzen im DaZ-Unterricht und Umgang mit traumatisierten Lernenden».
Die Teilnehmenden erweitern ihr sprachwissenschaftliches Wissen zum Thema Schriftlichkeit und Schriftspracherwerb und lernen, dieses für die Alphabetisierung Ihrer Lernenden nutzbar zu machen. Dabei setzen sie sich mit möglichen Ursachen und psychosozialen Folgen von Analphabetismus/Illetrismus auseinander und erweitern ihr Methoden-Repertoire zur Förderung der feinmotorischen Fähigkeiten.
Zudem erfahren sie etwas über den Einsatz von neuen Medien und Visualisierungen im Alphabetisierungsunterricht in Deutsch als Zweitsprache und erlernen schriftfreie Methoden zur Förderung der mündlichen Sprachkompetenz.
Natürlich befassen sie sich auch mit dem Konzept der phonologischen Bewusstheit und deren gezielter Förderung bei ihren Kursteilnehmenden. Darüber hinaus setzen sie sich mit Methoden der Lese- und Schreibförderung auseinander und analysieren und entwickeln Lehr-/Lernmaterialien für Alphabetisierungskurse in Deutsch als Zweitsprache.

 

Worin besteht die Motivation, eine neue Weiterbildung in diesem Bereich anzubieten? Inwiefern ist das Thema Alphabetisierung im Kontext des Erwerbs von Deutsch als Zweitsprache aktuell in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht relevant? Weshalb werden in diesem Bereich mehr und besser ausgebildete Fachkräfte benötigt?

Der erste Durchgang des CAS war im Jahr 2018. Ausschlaggebend für die Entwicklung dieses Weiterbildungsangebots war die vermehrte Nachfrage nach Alphabetisierungskursen aufgrund der verstärkten Migration (vor allem im Jahr 2015 durch die sogenannte «Flüchtlingswelle»). Hierbei hat uns die Praxis um Unterstützung in der Weiterbildung von DaF/DaZ-Kursleitenden gebeten. Es gibt natürlich Kursleitende, die schon mehrere Jahre Erfahrung im Alphabetisierungsunterricht haben und viel Wissen mitbringen. Allerdings wurde uns immer wieder gemeldet, dass viel Praxiswissen vorhanden ist, aber nicht die theoretischen Grundlagen dafür. Zudem gibt es auch im Alphabetisierungsbereich viele Quereinsteiger, die sich mühevoll Wissen aneignen müssen. Ich denke, dass deshalb das Weiterbildungsangebot ein erster Schritt ist, um auch die Professionalisierung der Kursleitenden im Bereich der Alphabetisierung zu fördern.


Welche Forschungsfelder sind hinsichtlich der Alphabetisierung im Kontext des Fremdspracherwerbs besonders relevant? 

Grundsätzlich sind alle sprachwissenschaftlichen und sprachdidaktischen Forschungsfelder relevant. Leider gibt es immer noch zu wenig Forschung im Bereich der Alphabetisierung.

 

Inwiefern spielen Lese- und Schreibfähigkeit beim Erwerb einer Zweitsprache eine Rolle? Welche Rolle spielen Schriftsprache und Alphabetisierung in der Fremdsprachdidaktik und spezifisch im DaZ-Unterricht?

Alphabetisierung umfasst den Erwerb basaler Lese- und Schreibfertigkeiten. Diese sind in einer schriftbasierten Gesellschaft Grundvoraussetzung für eine umfassende Literalisierung. Literalität ist zudem Voraussetzung für Teilhabe an der Gesellschaft. Lese- und Schreibfertigkeiten werden nämlich sowohl im alltäglichen als auch beruflichen Kontext immer wieder gebraucht und geben dem Individuum die Möglichkeit, schriftsprachliches Handeln zu entwickeln (z. B. Briefe verfassen, einen Fahrplan lesen, eine Bewerbung schreiben) und damit zu einem Teil der literalen Gesellschaft zu werden.

 

Worin bestehen aus Ihrer Sicht aktuell die Chancen und Herausforderungen hinsichtlich der migrationsbedingten Mehrsprachigkeit in der Schweiz?

Jede Form von Mehrsprachigkeit sehe ich persönlich als Bereicherung an, sowohl für die Person selbst, die mehrsprachig ist, als auch für die Gesellschaft, in der sie lebt.
Eine Besonderheit der Schweiz ist natürlich, dass sie vier Amtssprachen hat: Deutsch, Französisch und Italienisch; Rätoromanisch ist Amtssprache im Verkehr mit Personen dieser Sprache. Besonders ist jedoch auch die Diglossie-Situation in der Deutschschweiz: Migrantinnen und Migranten werden hier mit dem Nebeneinander von Standardsprache und vielen verschiedenen Deutschschweizer Dialekten konfrontiert. Da der Dialekt vor allem im Alltag gesprochen wird und fast überall präsent ist, fällt vielen Migrantinnen und Migranten anfangs das Deutsch lernen schwer.

 

Was verstehen Sie unter Analphabetismus und Illetrismus? Welche zusätzlichen Herausforderungen ergeben sich aus Analphabetismus/Illetrismus für die Gesamtgesellschaft, die Lernenden und die Lehrenden der jeweiligen Zweitsprache?

Grundsätzlich unterscheidet man drei verschiedene Typen von Analphabetismus: 1. primäre Analphabeten, die nie lesen und schreiben gelernt haben; 2. funktionale Analphabeten, die trotz Schulbesuch nicht über ein Mindestmass an Lese- und Schreibkenntnissen verfügen, die zur Bewältigung des Alltags in beruflicher und privater Hinsicht in der jeweiligen Gesellschaft erforderlich sind; 3. sekundäre Analphabeten, die nach kurzem oder mehr oder wenig erfolgreichem Schulbesuch ihre Lese- und Schreibfertigkeit wieder eingebüsst haben.
Der Begriff «Illettrismus» wird vor allem hier in der Schweiz verwendet. Illettrismus beschreibt die Situation von Menschen, die trotz langjähriger Schulpflicht nicht über jene Lese- und Schreibkompetenzen verfügen, die es ihnen ermöglichen, den privaten und beruflichen Alltag selbstständig gestalten zu können. Ihre Situation unterscheidet sich aber deutlich von Analphabetinnen und Analphabeten, die nie die Möglichkeit hatten, eine Schule zu besuchen. Illetrismus betrifft auch Menschen, die Deutsch als Erstsprache gelernt haben. Dabei besteht das Hauptproblem darin, dass nur wenige Menschen sich bewusst darüber sind, dass Menschen trotz Schulbesuches Schwierigkeiten mit Lesen und Schreiben haben können. Auch Betroffene selbst bemerken dies erst spät und/oder entwickeln Strategien, um sich in alltäglichen Situationen, in denen sie lesen oder schreiben müssten, zu helfen. Zudem ist vielen Menschen «Illettrismus» unbekannt oder es wird tabuisiert.

 

Was kann linguistische Forschung und Lehre zur Bewältigung dieser Herausforderungen beitragen?

Auch wenn Analphabetismus oder Illitrismus nur einen Teil der Bevölkerung betrifft, sind rund 780 Millionen Menschen weltweit betroffen. Der grösste Teil der Analphabeten kommt aus armen Regionen des Mittleren Ostens, Südasiens und Sub-Sahara-Afrikas. Dies betrifft also Personen, die aufgrund verschiedenster Ursachen nach Europa flüchten und die in den Alphabetisierungs- und Integrationskursen zu finden sind.
Die linguistische Forschung und Lehre kann in erster Linie dafür sorgen, dass neue Erkenntnisse im Sprachenlernen und –lehren im Alphabetisierungsbereich gesammelt werden und dadurch auch ein Bewusstsein in der Gesellschaft geweckt wird.